Leserbrief zur dapd-Meldung
"Platzeck will mehr Lärmschutz in Schönefeld"
in der Berliner Zeitung vom 29.2.2012, Seite 20
Sehr geehrte Damen und Herren,
die in der dapd-Meldung verwendete Formulierung "Die Bedenken der Anwohner würden noch nicht komplett ernst genommen" ist eine dreiste Verniedlichung des sich bereits abzeichnenden Lärmschutz-Skandals am Flughafen BER. Erneut versuchen gegenwärtig der Flughafenbetreiber und die Planfeststellungsbehörde, die Betroffenen für dumm zu verkaufen und ihre Rechte zu beschneiden. Jeder vernünftige Mensch ist in der Lage, den folgenden einfachen Satz zu verstehen: "Die (Schallschutz-)Vorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch die An- und Abflüge am Flughafen im Rauminnern bei geschlossenen Fenstern keine höheren ... Maximalpegel als 55 dB(A) auftreten". Er stammt aus dem Planfeststellungsbeschluss der Brandenburgischen Planfeststellungsbehörde vom 13.8.2004 und betrifft das sogenannte Tag-Schutzziel für den Zeitraum 6 bis 22 Uhr.
Aufgrund dieser Festlegung haben innerhalb des Tag-Schutzgebietes lebende anspruchberechtigte Anwohner einen behördlich verbrieften Rechtsanspruch auf die Gewährung von kostenlosem Schallschutz für Wohnräume, Büroräume, Praxisräume und sonstige nicht nur vorübergehend betrieblich genutzte Räume. Natürlich ist der sich daraus ergebende Schallschutzaufwand für ein bestimmtes Gebäude von zahlreichen Randbedingungen abhängig. Neben der räumlichen Lage des Gebäudes sind auch seine bauphysikalischen Eigenschaften von erheblicher Bedeutung. In jedem Falle hat der Schallschutzaufwand jedoch die Einhaltung des oben genannten Schutzzieles zu gewährleisten. Die FBB als Betreiberin des künftigen Flughafens hat allerdings eigene Vorstellungen vom Tag-Schutzziel, das sie den Ingenieurbüros vorgibt, die den Schallschutzbedarf bei den einzelnen Betroffenen ermitteln. Sie verlangt lediglich die Ausführung eines Schallschutzes, bei dem der Maximalpegel von 55 dB(A) in Wohnräumen usw. täglich bis zu sechs Mal überschritten werden kann. Der dafür zu betreibende Schallschutzaufwand ist naturgemäß geringer als der sich aus dem Planfeststellungsbeschluß ergebende. Die FBB spart auf diese Weise Geld und Material auf Kosten der Gesundheit der Betroffenen! Da die FBB systematisch vorgeht, sowie bewusst und vorsätzlich gegen die Festlegung des Planfeststellungsbeschlusses verstößt, hat der Verband deutscher Grundstücksnutzer VDGN vor wenigen Tagen eine Strafanzeige mit dem Vorwurf des Betruges gestellt. Unabhängig davon, wie die Staatsanwaltschaft Potsdam mit dieser Strafanzeige umgehen wird, dürfte klar sein, dass damit die öffentliche Glaubwürdigkeit des Flughafenbetreibers einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. Jeder Versuch, den Planfeststellungsantrag in diesem Punkt zum Nachteil der Betroffenen zu ändern oder neu zu interpretieren, wird einen neuen Rechtsstreit zur Folge haben, der auch in der politischen Landschaft für gehörigen Wirbel sorgen wird. Das wird für die öffentliche Reputation des Projektes nicht förderlich sein. Ein Flughafenprojekt, das bekanntermaßen an einem dafür nicht geeigneten Standort errichtet wird und bei dem der entsprechend hohe Schallschutzaufwand auch noch rechtswidrig und zum Nachteil der Betroffenen eingeschränkt werden soll, kann nicht damit rechnen, von den Betroffenen als "Guter Nachbar" akzeptiert zu werden. Abgesehen von diesem sich abzeichnenden Lärmschutz-Skandal, bei dem sich der Flughafenbetreiber mit dem Vorwurf des Betruges konfrontiert sieht, ist auch das Brandenburgische Infrastrukturministerium weiteren Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgesetzt. Nur wenige Monate nach der voraussichtlichen Eröffnung des Flughafens wird das Gericht über zahlreiche Klagen gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses von 2004 entscheiden. Der mit den Klagen begründete Vorwurf ist für das Projekt nicht weniger brisant: Erschleichen des bis auf die Nachtflugregelung vom Bundesverwaltungsgericht 2006 bestätigten Planfeststellungsbeschlusses von 2004 durch Täuschung der Öffentlichkeit und des Gerichtes! Der kurz vor der Eröffnung stehende Flughafen BER ist nach Ansicht der Kläger ein Schwarzbau, der - wenn die 1998 vereinbarte Täuschung bereits 2004 bekannt gewesen wäre - wahrscheinlich nicht in dieser Form hätte errichtet werden können. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der BER-Planfeststellungsbeschluss von den Klägern erfolgreich angefochten wird und die Betriebsgenehmigung nur wenige Monate nach der Eröffnung wieder aufgehoben werden muß. Ob Herr Diepgen 1996 ahnte, dass seine kurzsichtige, von einer Westberliner Inselneurose geprägte Entscheidung zugunsten Schönefelds einstmals womöglich in einem solchen Desaster für die Region enden könnte?
Mit freundlichen Grüßen
Gunnar Suhrbier